Das „Erste österreichische Museum für Alltagsgeschichte“ in Neupölla bietet 2023 zwei Themenschwerpunkte an: Einerseits wird in der Dauerausstellung die lokale Geschichte von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, die bisher anhand der Kleinhäuslerfamilie Walter, Besitzer des Hauses Nr. 10 vom 18. bis ins 20. Jahrhundert, sowie am Beispiel der Handwerkerfamilie Krammer (Schusterwerkstätte und Tischlerei) behandelt wurde, um die Geschichte der jüdischen Familie Biegler erweitert.
Simon Biegler wanderte 1860 aus dem mährischen Markt Schaffa/Šafov nördlich von Langau ins Waldviertel und eröffnete in Neupölla eine Greißlerei. In zwei Ehen hatte er insgesamt acht Kinder. Der jüngste Sohn Alois übernahm 1910 das Geschäft von einem älteren Bruder und engagierte sich auch als Gründer eines „Rauchklub“ sowie Vorsitzender der Gewerbegenossenschaft.
Mit seiner Gattin Ida, einer Verwandten der Gmünder Familie Schwarz, hatte er neben der Stieftochter Irma vier Töchter. 1938 wurde die Familie verprügelt und vertrieben, das Haus vom Nachbarn „arisiert“. Alois, Ida und Ella Biegler wurden 1942 nach Riga deportiert und ermordet. Irma überlebte in Wien, die Töchter Laura und Flora konnten nach England flüchten, Martha nach Dänemark.
Dazu präsentiert das Museum vom 1. Mai bis 27. August 2023 die Sonderausstellung „Der Wein des Vergessens“. Die Kremser Riede Sandgrube – eines der berühmtesten Weingüter der Wachau – befand sich bis 1938 im Besitz des jüdischen Geschäftsmanns Paul Robitschek und seines Partners August Rieger. Robitschek und der angebliche Baron sind Geschäftsfreunde und zugleich ein glamouröses Liebespaar. Die Denunziationen erleichtern die „Arisierung“ jenes Besitzes, der zur Grundlage der berühmten Winzergenossenschaft Krems wird.
Die bis dahin unerforschte Geschichte der Besitzvorgänger und deren Enteignung wurde 2018 mit dem dokumentarischen Roman „Der Wein des Vergessens“ der Historiker Bernhard Herrmann und Robert Streibel und danach durch eine Historikerkommission der Winzergenossenschaft aufgearbeitet und veröffentlicht. Die darauf basierende Ausstellung zeigt private Fotos und Dokumente, Briefe und Tagebuchausschnitte aus dem Besitz von Bernhard Herrmann, einem Nachkommen des damaligen Verwalters des Kremser Weingutes.
Das Museum ist von 1. Mai bis 26. Oktober jeden Sonn und Feiertag von 14:00 bis 17:00 Uhr geöffnet. Gruppen sind auch außerhalb dieser Zeiten herzlich willkommen. Weitere Informationen: www.poella.at/Museum